Abflug ist um 17.05 MEZ ab Frankfurt Hahn. Als Landezeit in Fez ist 19.00 terminiert.
Zwei Stunden Zeitverschiebung und ein dreistündiger Flug bringen uns nach Marokko.
Ich reise diesmal mit Jens. Einem sehr guten Freund und talentierten Fotografen. Uns beide verbindet eine fast zehnjährige Freundschaft ‒ und die Liebe zur Fotografie.
Gegenseitiges Vertrauen und Verantwortung sind somit gesichert.
Wir treffen uns um 11.30 bei mir in Frankenthal. Überpünktlich. Nach dem Verpacken der Klamotten in meinen 70 l Rucksack geht es los.
Kaum 30 Minuten auf der Fahrt, kommen wir in den ersten Stau.
Anstatt der veranschlagten 80 Minuten Fahrt, sind wir dann doch ganze zweieinhalb Stunden unterwegs. Gut, dass wir früher losgefahren sind. Sonst hätten wir die erste Pleite erlebt.Weil sie bei der Onlinebuchung das Bezahlsystem des Übergepäcks gut verschleiert haben, müssen wir am Ryanair-Schalter nochmals 20 € berappen. Endlose Minuten später passieren wir die Passkontrolle. Jens passiert, wie zu erwarten, ohne Probleme. Ich dagegen muss mich etwas ins Profil drehen. Warum?
Auf dem Passbild habe ich eine Glatze, aktuell aber längere Haare. Der Mann hinter dem leicht milchigen Glas ist zunächst völlig emotionslos, doch kurz Zeit später meint er trocken: Die Ohren sind unverkennbar. Danke!
Mit 20 Minuten Verspätung sind wir schließlich in der Luft. Die Flugzeit verbringen wir mit Lesen und Quatschen. Wie der Zufall so will, treffe ich im Flugzeug nach Nasser, einen Promotor, den ich von der Arbeit kenne. Von ihm erfahre ich noch den einen oder anderen nützlichen Tipp für unsere Reise.
Nervend ist die Dauerwerbung bei Ryanair. Ständig blökt aus den Bordlautsprechern eine von Anglizismen durchsetze Stimme und wirbt für die Bordprodukte.
Alles wirkt ein wenig wie im Stil vom amerikanischen Fernsehen, wo ständig aller eingängig und monoton nervend bis zu geistige Stillstand wiederholt wird.
Die Message ist klar: dies ist ein Werbeflug. Eine passende Analogie wäre: Reisen mit Ryanair ist wie eine Kaffeefahrt im Bus. Nur ohne eine Möglichkeit zur Flucht. Eingekerkert in den engen Sitzen muss man das Werbegeschwafel über sich ergehen lassen.
Noch zwei Stunden, dann sind wir erlöst. Hunger habe ich auch. Aber bei Preisen von fünf Euro für ein Sandwich hungere ich lieber.
Die Ankunft in Fez dagegen ist eine wahre Freude. Wir landen gerade, als die Sonne sich rot hinter den Bergen versteckt. Der ganze Himmel und die uns umgebende Kulisse sind blutrot getränkt. Was für ein Anblick. Das Flugzeug hebt sich nur noch silhouettenhaft ab, so stark zündelt das helle Licht in den Augen. Die Passkontrolle dauert wieder Ewigkeiten. Wir füllen die nötigen Papiere für die Einreise aus und kommen dabei mit zwei Tschechen und Katharina ins Gespräch.
Es stellt sich heraus, dass wir zwei die Einzigen sind, die schon eine feste Unterkunft haben. Wir planen ein gemeinsam ein Grand-Taxi zu nehmen, um das erste Geld sparen zu können.
Leider stellt sich nach einem Gespräch mit den Taxifahrern heraus, dass sie an ein anderes Ende der Medina müssen, und sich somit besser eigenes Taxi nehmen.
Somit sitzen wir dann Minuten später im eigenen Taxi mit einem Fahrer, der zwar die Adresse kennt, aber sonst kein Wort Englisch spricht. Und wir weder Arabisch noch Französisch. Dank Carsten, einem Arbeitskollegen kann ich wenigstens ein paar Brocken Französisch. Von einer ausgedehnten Unterhaltung im Stile einer Konservation bin ich aber Lichtjahre entfernt. Es ist aber spannend, sich zu unterhalten. Die Fahrt ist ein Thema für sich, über die sich sicherlich eine Diplomarbeit schreiben ließe.
Jens sitzt hinten auf der Rückbank. Ich vorne neben dem Fahrer. Irgendwie muss der Typ Nahtod-Erfahrungen lieben ‒ oder er ist ernsthaft auf sie aus. Anders kann ich mir diesen suizidalen Fahrstil nicht erklären. Im Klartext bedeutet das: Beschleunigen, bevor man in einen Kreisel einfährt. Unser Fahrer drängelt, immer und überall. Schon beinahe krankhaft nutz er Lichthupe. Das ist auf Dauer wenig spaßig. Dichtes Auffahren wird hier schon mal gerne auf Haaresbreite so lange ausgelotet, bis das Fahrzeug vor uns geblendet von der Lichthupe einlenkt und uns den nötigen Platz gewährt. Im Vorbeifahren fühle ich mich dem anderen Fahrer so nah, dass ich meine, seinen Atem spüren zu können.
Heftig wird es aber, als er auf zwei stehende Autos im Kreisel zurast. Hollywoodreif. Die beiden Autos bewegen sich keinen Millimeter. Ich hätte geschätzt, dass dort niemand durchkommt. Die Tachonadel, die schon seit Fahrbeginn auf 60 km/h steht, rührt sich nicht. Ebenso der Drehzahlmesser. Mit ungebremstem Tempo rast unser Fahrer auf die parkenden Fahrzeuge zu.
Ich denke noch, dass war’s. Kein Hupen, kein Warnblinker und erst recht keine Lichthupe lassen die Autos von ihrem Fleck weichen.
Also, sagt sich der Fahrer, wenn, dann richtig. Der rechte Fuß bleibt bleischwer auf dem Gaspedal. Volle Fahrt auf die klaffende Lücke zu. Und er passiert sie. Ich glaube, mit weniger als einer Handbreit Abstand.
Mein Endorphin- und Adrenalinspiegel übersteigt in diesen Sekunden jeden Höchstwert, der je gemessen wurde. Meine Hände sind so nass, dass ich meine, zu ertrinken.
Ok, dass hätten wir gemeistert. Was kommt noch?
Kurz vor dem vereinbarten Haltepunkt Ain Azleten hält auf Höhe eine Ampel noch ein junger Motorradfahrer neben uns und fängt an den Fahrer auf Arabisch vollzutexten.
Wir verstehen natürlich gar nichts.
Wir fahren weiter. Plötzlich ist der Motorradfahrer auf meiner Seite und signalisiert mir, das Fenster zu öffnen. Ok, denke ich. Ich riskiere es. Er fragt, wo wir hinwollen. Ich sage ihm, dass unser Ziel die Pension Sekaya ist.
Er bietet sich an uns zu führen, was wir dann auch annehmen.
Wir bezahlen dem Taxifahrer die vereinbarten 120 Dirham und sind kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden.
Unser Weg führt uns hinab in die Medina. Schlagartig werden alle Sinne wach. Mir schlagen Gerüche entgegen, von denen ich glaubte, ich hätte sie nur geträumt oder verdrängt.
Die Häuser werfen dunkle Schatten in die Gassen. Wie hoch sie sind, kann ich nicht sagen, denn sie enden in der Dunkelheit der Nacht.
Jeden Meter hängt eine Glühbirne, in deren Schein sich Handel abzeichnet, den ich nur schemenhaft wahrnehme. Der junge Kerl, der uns führt, mag vielleicht 25 sein. Er gibt sich als Student aus. Er stellt sich als Achmet vor, und wir vertrauen ihm fürs Erste. Seine Englischkenntnisse entsprechen meinen; somit können wir problemlos kommunizieren.
Zielstrebig führt er uns durch ein Labyrinth aus Formen und Farben. Die Eindrücke prasseln auf mich herab wie ein Frühlingsregen. Nur mit dem Unterschied, dass ich mich gestresst fühle.
Ohne wirklich zu wissen, wo wir sind, müssen wir ihm vertrauen. Keine zehn Minuten später hasten wir durch zwei dunkle Gassen, in denen ich eher einen Hinterhalt erwartet hätte.
Weit gefehlt. Sekunden später stehen wir vor der Pension. Ich bin erleichtert. Jetzt erst spüre ich die fast 17 kg auf meinem Rücken. Die Anspannung weicht.
Jens wird es sicherlich nichts anders gehen, denn er trägt die beiden voll beladenen Kamerarücksäcke samt den zwei Stativen. Achmet gibt uns auf Nachfrage seine Handynummer. Wir versichern ihm, dass wir uns melden werden. Kaum ist die Tür zu, sehen wir uns an und beschließen, dass wir ihn nicht brauchen.
Das nenne ich Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten 🙂
Kaum eingecheckt, sind wir auf dem Zimmer und ergründen unser neues Reich für die nächsten Tage und Nächte. Zwei Betten und ein spärliches Licht lassen dieses Zimmer sehr reduziert erscheinen. Ideal zum Schlafen. Mehr brauchen wir nicht. Ein Bad gibt es auch. Wir sind für das Erste zufrieden und glücklich.
Wir sind gespannt, was uns morgen erwartet.
Vadim
Jens, 2014 steht ! 🙂